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Neue Spiegellos-Kamera-Hersteller und das Echo im Netz

veröffentlicht am 10.09.2018 in * FOTOTECHNIK *

Was hab ich da in der letzten Zeit alles für einen Unfug gelesen - die großen Hersteller Canon und Nikon verpassen den Siegeszug der Spiegellos-Kameras etc.
Es wird Zeit, sich mit den Fakten zu beschäftigen.

Nikon Z6, Nikon Z7, Canon R1 und die Folgen

Nun liefern die beiden endlich ihre Version von Spiegellos-Kameras, und dann ist das Geheule wieder groß:

Und dann gibt’s da noch solche “Wünsch-Dir-was-Äußerungen” wie:

… die neoliberalen Marktradikalen lassen grüßen …

Ich werde nicht auf alle Punkte eingehen, aber ein Teil davon wird sich aus dem im nachfolgend Dargestellten ergeben. Wenden wir uns zunächst den Fakten zu:

Verkaufszahlen und Preise vom Kameramarkt

Die CIPA (Camera & Imaging Products Association) als internationaler Industrieverband führt seit vielen Jahren Statistiken, seit 2012 listet sie nicht nur System- und Kompaktkameras getrennt auf, sondern unterscheidet auch zwischen Reflex- und Spiegellos-Systemkameras. Bei den Auswertungen im Anschluß habe ich mich auf diese beiden Gruppen (Systemkameras) beschränkt, die Kompaktkameras bleiben außen vor.
(Für analoge Kameras wird zwischen “FP-Shutter” (Focal Plane Shutter, der Schlitzverschluß zählt dazu) und “Lens Shutter” unterschieden, die Spiegelreflex-Modelle fallen in die erste Kategorie, auf die ich mich bei der Auswertung der Zahlen beschränkt habe)

Und aus diesen Zahlen läßt sich - insbesondere, wenn man sie über längere Zeiträume betrachtet - eine Menge ablesen.

Der weltweite Markt

Ich werde versuchen, die wesentlichen Fakten aus der Entwicklung der Kameraverkaufszahlen - ergänzt um die dazugehörigen Preise - abzuleiten:

Kamera-Verkaufszahlen weltweit

Kameradurchschnittspreise weltweit

Teilbereich: der europäische Markt

Die weltweiten Zahlen können ggf. beeinflußt werden durch überlagerte Effekte, wie z. B. Veränderungen des Wohlstandes in z. B. Schwellenländern. Daher habe ich mir die Zahlen für den eher statischen Markt in Europa getrennt angeschaut:

Kamera-Verkaufszahlen in Europa

Kameradurchschnittspreise in Europa

Die Marktentwicklung bei Systemkameras - eine kleine Analyse

Vorbemerkung: Die Verkaufszahlen für analoge Systemkameras haben sich vor 1998 über annähernd 10 Jahre auf ähnlichem (m. o. W. konstantem) Niveau befunden.

Phase 1: Rückgang der Analogfotografie

Ab dem Jahr 2000 deutet sich ein leichter Rückgang der Verkaufszahlen im Analogsegment an, verstärkt wird dieser Trend ab dem Jahr 2002. Zu diesem Zeitpunkt sind die Digital-Systemkamera-Stückzahlen aber noch marginal. Sind hier die ersten Analogfotografen bereits zu den digitalen Kompaktknipsen abgewandert - oder haben die einfach das Interesse verloren?

Phase 2: Digitale Systemkameras tauchen in der Statistik auf

Ab 2003 listet die CIPA Zahlen für die digitalen Systemkameras, die Preise lagen damals beim 5-7fachen der Analog-Modelle, fielen aber bereits im ersten Jahr drastisch - ein Volumeneffekt, weil sich die Stückzahlen in diesem Jahr auch verdreifacht haben.

Phase 3: der rasante Aufstieg der digitalen Systemkameras

Ab ca. 2004 waren Digitalkameras technisch so ausgereift, daß sie für eine größere Zielgruppe interessant wurden, die Nikon D2X und D200 soll hier nur beispielhaft für das gehobene Segment erwähnt werden (12 bzw. 10MPx), die D70 für das Einsteigersegment (6MPx).

In der Folgezeit setzte also eine große “Umstiegswelle von analog nach digital” ein, die bis zu einer irgendwann fälligen Sättigung die Zahlen hochtrieb. Es war also nicht primär der Preis, sondern die Nachfrage, die die hohen Stückzahlen brachte, und in der Folge fielen dann die Preise über die höher werdenden Stückzahlen, aber bereits deutlich verlangsamt.

Interessant ist hier in der europäischen Statistik, daß bei fast verschwindenden Stückzahlen die Preise für Analogkameras nochmal anzogen. Das könnte daran liegen, daß vorwiegend sehr hochwertige analoge Modelle bis zum Schluß verkauft wurden (die Nikon F6 ist z. B. bis heute erhältlich).

Phase 4: Der Kameramarkt bricht ein

Seit 2011/2012 beobachten wir nun das Gegenteil. Jeder hat irgend so einen oder mehrere digitale “Bildfänger” rumliegen, die Stückzahlen reduzieren sich wieder auf Normalmaß, aber die Entwicklungskosten werden deswegen ja nicht kleiner (alles schreit ja nach “Innovation”) - also müssen logischerweise die Stückpreise wieder steigen.

Der Untergang der DSLR?

Wenn der Kameramarkt insgesamt einbricht (wie 2012 - 2014 ganz extrem geschehen, in Europa haben sich die Systemkamerastückzahlen halbiert), dann kann der mit Abstand größte Bereich, die Spiegelreflexkameras, davon nicht unberührt bleiben. Auch die Spiegelreflex-Verkaufszahlen haben sich folglich halbiert.
Zweitens wurden bei der Umstellung von Analog- auf Digitalfotografie in den Jahren davor eben Spiegelreflex gegen Spiegelreflex getauscht - und wenn die ersetzt sind, dann gerät der Markt genau für diese Kameragattung nach exorbitanten Steigerungen der Phase 3 in eine genauso heftige Sättigung.

Der Spiegellos-Markt wächst?

Nach einem Rückgang ab 2012 haben die Verkaufszahlen in 2017 gerade wieder das Ausgangsniveau erreicht. Wo hier der immer wieder beschriebene “ständig wachsende Markt” abgelesen werden soll - das ist mir schleierhaft.
(Der prozentuale Marktanteil steigt natürlich trotzdem, wenn ein stagnierender Marktteilnehmer (Spiegellos-Kameras) einem aufgrund Nachfragesättigung schrumpfenden Marktteilnehmer (DSLRs) gegenüber steht).

Mehr Konkurrenz im Spiegellos-Markt - die Preise fallen?

Die DSLM-Preise steigen heute schon stärker als die DSLR-Preise und wenn der stagnierende Markt der Spiegellos-Kameras auf mehr Teilnehmer aufgeteilt wird, weil nun Canon und Nikon zusätzlich in den Spiegellos-Markt einsteigen und falls dabei der Trend so bleibt, dann wird’s ein bißchen enger für die Olympus und Sony dieser Welt.
Mögliche Folgen:

Merke: zum Markt gehören immer zwei: der Anbieter und der Abnehmer - und wenn letzterer Zurückhaltung übt, kann der Erstere lange anbieten …

Phase 5: Wie geht’s weiter?

Tja, eine Glaskugel hab ich auch nicht. Aber 2018 könnte sich das Marktvolumen wieder (von oben) dem “Normalmaß” nähern, nämlich den Absatz-Stückzahlen, die wir aus der analogen Zeit gewöhnt waren (plus dem “Digitalzuschlag”, denn mit der Digitalisierung werden Produkte aller Erfahrung nach - zumindest aus Kundensicht - “kurzlebiger”, weil schneller “veraltet”).

Die interessante Frage wird dann in diesem Zusammenhang sein: wie groß wird zukünftig in einem konsolidierten Markt der Anteil der Spiegelreflex-Kameras und der Spiegellos-Systeme sein. Erst dann lassen sich m. M. nach vernünftige Aussagen machen.

Schlußfolgerungen und ein paar Bemerkungen zu den verbreiteten Meinungen

Der Spiegellos-Hype

Wenn ich Sätze lese wie:

Nachdem einige Hersteller von Semipro- und Pro-Kameras sich schon vor Jahren vom Spiegel-Prisma-Konzept der DSLR verabschiedet haben und damit zunehmend erfolgreich sind, (…)

oder

Trotzdem wird der Markt der spiegellosen Kameras weiter wachsen und zu einer Dominanz in diesem Segment führen.

dann kann ich darauf in zweierlei Weise reagieren:

Fakt ist, daß seit Jahren die Spiegellos-Zahlen stagnieren (Systemkameras), die DSLR-Zahlen sinken, sodaß der Gesamtkamera-Markt schrumpft – siehe Zahlen der CIPA oben.
Nimmt man noch die Kompaktkameras dazu, befindet er sich im freien Fall – dies betrachte ich hier aber nicht weiter.
In welchen (Systemkamera-)Marktsegmenten das am stärksten der Fall ist, das wissen die Kamerahersteller am Besten – ich gehe davon aus, daß insbesondere die Einsteigermodelle an Boden verlieren, weil die Fettfingerbretter (Smartphones) auch da immer mehr abgrasen. Daraus ergibt sich eben eine Produktpolitik, die uns gefallen kann oder auch nicht – steigende Preise sind meine Sache auch nicht, aber die logische Folge, wenn sich Forschungs- und Entwicklungskosten auf eine immer kleinere Stückzahl umlegen.

Der “Umstiegs-Wahn”

Wieder ein Beispiel:

Wer auf DSLM setzt, sollte sich, falls er auf Vollformat oder Crop besteht, bei Sony oder Fuji umsehen, denn deren Kamera- und Objektivportfolio ist vielfältiger. Wer Outdoor fotografiert und daher ein leichtes und platzsparendes System sucht oder gerne filmt, ist mit Olympus oder Panasonic bestens versorgt und obendrein gibt es für das MFT-System eine Vielzahl guter und preiswerter Objektive.

… als wenn die Kamera das einzige Stück Equipment in der Fotoausrüstung ist … Immerhin hat der Fotograf auch (evtl. nicht zu wenige) Objektive und anderes Zubehör, was zum bestehenden System(!) gehört.
Wer neu anfängt, der mag sich solche Gedanken machen, der Rest überlegt sich sehr sorgfältig, ob und was er wertverlustig entsorgt – der Gebrauchswert wird in der Regel höher sein als der Wiederverkaufswert. Und gerade für solche Kunden macht Nikon einen guten Job (Canon kann ich nicht beurteilen hinsichtlich der Abwärtskompatibilität) - indem ein Spiegellos-System angeboten wird, das sich in die bestehende Ausrüstung einfügt.

groß - frontlastig - schwer …

Aber alle wollen Vollformat und Lichtstärke 0,5?
Ich fasse es nicht, was ich da manchmal lese: Die Physik gilt auch für Spiegellos-Kameras: irgendwoher muß das Licht ja kommen, das auf den Sensor fokussiert wird. Und bloß, weil das Gehäuse jetzt ein paar mm flacher wird, heißt das nicht, daß der Linsendurchmesser deswegen kleiner wird.
Und wenn ich rückwärtskompatible Kameras bauen will (danke an Nikon, die in dieser Hinsicht eine große Tradition haben), damit eben ältere Objektive weiterverwendet werden können, dann muß der “Luftspalt” ausgeglichen werden.

Wer keinen Adapter verwenden will, der soll halt neue Objektive kaufen. Und wer eine kleine Kamera will, der soll halt zu Micro-Fourthirds wechseln.

1490 Worte - Lesezeit: 7 Minute(n)

 

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